Dienstleistungsmanagement

Wurzeln des Dienstleistungsbegriffs

Bevor wir im weiteren Verlauf unserer Ausführungen konkret auf bestimmte Definitionen, Merkmale und Sachverhalte eingehen, wollen wir erst einen kurzen Überblick anbieten.

Was genau sind Dienstleistungen?

Obwohl fast jeder dem allgemeinen Verständnis nach eine Vorstellung davon hat, was „Dienstleistungen“ sind, existiert kein nach wissenschaftlichen Standards einheitlicher Dienstleistungsbegriff. Grundsätzlich zeichnen sich nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch alle Dienstleistungen durch Immaterialität und Intangibilität aus. Ihnen ist gemein, dass sie körperlos und gegenständlich nicht greifbar sind. Außerdem sind Dienstleistungen dadurch gekennzeichnet, dass bei ihrer Erbringung ein externer Faktor mitwirkt (sachliche oder personelle Betriebsmittel). Typischerweise fallen ihre Erbringung und ihr Absatz zeitlich zusammen. Darüber hinaus hat sich bisher keine übereinstimmende, nach positiven Elementen bestimmte Definition herausgebildet.

Leider ist es bis heute nicht gelungen, eine unumstrittene und trennscharfe Definition zu formulieren. In der Literatur wird die Frage nach einer trennscharfen Abgrenzung zwischen der Warenproduktion und der Erbringung von Dienstleistungen kontrovers geführt. Eine verbreitete Definition beschreibt Dienstleistungen in Abgrenzung zur Produktion materieller Waren als immaterielle Prozesse. Es sei das Ziel dieser Dienstleistungsprozesse, den Zustand einer Ware oder einer Person zu verändern. Wenn man diesem Prozessgedanken folgt, sind Dienstleistungen im Gegensatz zu Waren nicht im Vorfeld produzierbar und nicht bis zum Verkauf bzw. Verbrauch lagerfähig. Vielmehr müssten der Erstellungs- und der Verbrauchsprozess gleichzeitig stattfinden.

Das Kriterium der Immaterialität (Intangibilität) zur Abgrenzung der Dienstleistung von der Sachleistung wird in der Literatur häufig kontrovers diskutiert. Die Immaterialität bzw. Intangibilität (Nichtgreifbarkeit) eines Gutes wird als Kennzeichen für Dienstleistungen angeführt, ist jedoch nur selten zutreffend. Dies hängt damit zusammen, dass der Nachfrager fast immer ein Leistungsbündel erhält. Dieses Leistungsbündel kann bestehen aus Haupt-, Neben- und Zusatzleistungen mit materiellen und immateriellen Komponenten. Güter weisen in der Regel einen größeren materiellen Anteil auf, Dienstleistungen meist einen größeren immateriellen Anteil auf.

Viele Dienstleistungen erfordern zusätzlich die Anwesenheit des Konsumenten und seine Interaktion mit dem Anbieter. Konsumnahe Dienste sind beispielsweise die Behandlung bei einem Arzt, eine Taxifahrt oder ein Konzertbesuch. Die Dienste werden als gebundene Dienstleistungen bezeichnet, weil sie räumlich und zeitlich an den Erbringer der Leistung gebunden sind. Aufgrund der personengebundenen Arbeitsleistung wird davon ausgegangen, dass im Regelfall nur geringe Entwicklungsmöglichkeiten und Produktivitätssteigerungen möglich sind (Eickelpasch, 2012). Eine weitere Folge der erforderlichen zeitgleichen Anwesenheit von Dienstleistungserbringer und -konsument ist, dass die Handelbarkeit dieser Dienste über größere Entfernungen stark eingeschränkt ist.

Kurze Erläuterung:

Im Vergleich mit der Industrie werden den Dienstleistungen in der Fachliteratur häufig Produktivitätsschwächen zugeschrieben. Diese Sichtweise hält einer differenzierten Betrachtung nicht Stand. Bei personenbezogenen Dienstleistungen (gebundene Dienstleistungen) ist die Produktivität aufgrund der Einbeziehung des Nachfragers meist geringer, es kann jedoch nicht von einer generellen Produktivitätsschwäche des Dienstleistungssektors gesprochen werden. Im Fall ungebundener Dienstleistungen sind ähnliche Produktivitätssteigerungen wie in der Warenproduktion möglich.

Durch das Aufkommen und die Fortentwicklung moderner Kommunikationstechnologie ist diese zeitgleiche Anwesenheit allerdings bei immer weniger Dienstleistungen erforderlich (aufgrund dieser Entwicklung wurde in der WZ 2008 ein neuer Abschnitt „Information und Kommunikation“ geschaffen; siehe Tabelle WZ 2008 weiter oben). Viele Dienstleistungen wandeln sich zu sogenannten ungebundenen Dienstleistungen. Beispiele sind die Fernwartung von Anlagen oder Geräten, die Datenfernverarbeitung oder auch viele Finanzdienstleistungen. Im Gegensatz zu gebundenen Dienstleistungen sind ungebundene Dienstleistungen auch über größere Distanzen handelbar. Auch müssen in vielen Fällen Dienstleistungserstellung und -verbrauch nicht mehr zeitgleich erfolgen. Teile ungebundener Dienstleistungen lassen sich wie Waren im Vorfeld produzieren.

Eine trennscharfe definitorische Abgrenzung von Dienstleistungen untereinander und hin zur Warenproduktion wird zunehmend schwieriger. In der Praxis ist eine klare Unterscheidung von Sachgütern und Dienstleistungen nicht einfach. Dienstleistungen werden oft in Verbindung mit Produkten angeboten (Beratung beim Kauf eines elektronischen Gerätes). Diese Kombination ist aufgrund verschiedener Merkmale nicht getrennt voneinander darstellbar.

In der Literatur wird zunehmend darüber diskutiert, inwiefern eine Abgrenzung zwischen Sach- und Dienstleistungen heute überhaupt noch sinnvoll ist. Die wenigsten Leistungen, die heute erworben werden, sind „reine“ Sachgüter oder „reine“ Dienstleistungen, Zumeist haben Dienstleistungen einen zumindest geringen Sachgüteranteil.  Auf der anderen Seite gibt es eigentlich fast kein Sachgut, das komplett ohne Dienstleistung existieren kann (z.B. Beratung, Information, Vertriebs- oder Transportprozesse). Der Vergleich von Sach- und Dienstleistungen zeigt, dass die Unterschiede zwischen beiden Leistungsarten zunehmend verschwimmen. Oft wird auch die Meinung vertreten, Dienstleistungen sind individuelle Einzelleistungen, die nicht planbar und systematisierbar sind. Dies trifft zwar auf die Inhalte vieler Dienstleistungen zu, nicht jedoch auf die Abläufe. Selbst bei kundenindividuellen Leistungen wie einer Unternehmensberatung lassen sich immer wiederkehrende Teilleistungen und Ablaufschritte identifizieren, z.B. die Angebotserstellung, die Projektdokumentation und das Projektmanagement. Die systematische Planung auch individueller Leistungen erhöht die Professionalität der Leistungserbringung.

Zur Analyse der Leistungen des Dienstleistungssektors wird in der Literatur auch eine funktionale Betrachtung angeboten: die erstellten Leistungen und Produkte lassen sich dahingehend unterscheiden, ob sie vor allem für den Endkonsum oder als Vorleistung für die nachgelagerte Dienstleistungs- und Warenproduktion bestimmt sind. Dienstleistungs-branchen, die überwiegend Vorleistungen produzieren, werden als unternehmensbezogene Dienste bezeichnet. In Abgrenzung zu den unternehmensbezogenen Diensten werden die vor allem für den Endverbrauch hergestellten Leistungen zu den konsumnahen Dienstleistungen gezählt.

2.2

Dienstleistungsbegriff in der ISO

In der ISO 9001:2015 gewinnen Dienstleistungen an Bedeutung. In der Vorgängernorm 9001:2008 führten die Dienstleistungen bei vielen Anforderungen ein stiefmütterliches Dasein, obgleich Dienstleistungen in vielen Organisationen einen größeren Anteil an der Wertschöpfung ausmachen als die Produktion. Die Dienstleistung steht nun in allen Kapiteln gleichberechtigt neben der Produktion. In ISO 9001:2008 wurde die Benennung „Produkt“ verwendet, um alle Ergebniskategorien einzuschließen. Die aktuelle Ausgabe der Norm (DIN EN ISO 9001:2015) verwendet „Produkte und Dienstleistungen“; diese umfassen alle Ergebniskategorien (Hardware, Dienstleistungen, Software und verarbeitete Materialien).

Die spezielle Aufnahme von „Dienstleistungen“ dient der Hervorhebung von Unterschieden zwischen Produkten und Dienstleistungen bei der Anwendung einiger Anforderungen. Das Merkmal der Dienstleistungen ist, dass mindestens ein Teil des Ergebnisses an der Schnittstelle mit dem Kunden umgesetzt wird. Dies bedeutet, dass beispielsweise die Konformität mit den Anforderungen möglicherweise nicht bestätigt werden kann, bevor die Dienstleistung erbracht worden ist.

In den meisten Fällen werden „Produkte“ und „Dienstleistungen“ zusammen genannt. Die meisten Ergebnisse, die Organisationen ihren Kunden bereitstellen oder die ihnen durch externe Anbieter bereitgestellt werden, umfassen sowohl Produkte als auch Dienstleistungen. Beispielsweise kann ein materielles Produkt oder ein immaterielles Produkt mit einer zugehörigen Dienstleistung verbunden sein oder eine Dienstleistung kann mit einem zugehörigen materiellen oder immateriellen Produkt verbunden sein.

Quelle: DIN EN ISO 9001:2015, Anhang A2

DIN EN ISO 9000:2005 formuliert in den Begriffserklärungen folgendermaßen:

3.4.2 Produkt: Ergebnis eines Prozesses

ANMERKUNG 1 Es gibt vier übergeordnete Produktkategorien:

  • Dienstleistungen (z.B. Transport)
  • Software (z.B. Rechnerprogramm, Wörterbuch)
  • Hardware (z.B. mechanisches Motorteil)
  • Verfahrenstechnische Produkte (z.B. Schmiermittel)

Viele Produkte bestehen aus Elementen, die zu verschiedenen übergeordneten Produktkategorien gehören. Ob das Produkt als Dienstleistung, Software, Hardware oder verfahrenstechnisches Produkt bezeichnet wird, hängt vom vorherrschenden Element ab. Zum Beispiel besteht das Angebotsprodukt „Auto“ aus Hardware (z.B. den Reifen), verfahrenstechnischen Produkten (z.B. Kraftstoff, Kühlflüssigkeit), Software (z.B. Motorsteuerungssoftware, Betriebsanleitung) und Dienstleistungen (z.B. den vom Händler gegebenen Erläuterungen zum Betrieb).

ANMERKUNG 2 Eine Dienstleistung ist das Ergebnis mindestens einer Tätigkeit, die notwendigerweise an der Schnittstelle zwischen dem Lieferanten (3.3.6) und dem Kunden (3.3.5) ausgeführt wird und üblicherweise immateriell ist. Zur Erbringung einer Dienstleistung kann z.B. gehören:

  • eine Tätigkeit, die an einem vom Kunden gelieferten materiellen Produkt ausgeführt wird (z.B. einem zu reparierenden Auto);
  • eine Tätigkeit, die an einem vom Kunden gelieferten immateriellen Produkt ausgeführt wird (z.B. dem für die Erstellung einer Steuerrückerstattung erforderlichen Einkommensnachweis);
  • die Lieferung eines immateriellen Produkts (z.B. die Vermittlung von Kenntnissen);
  • die Schaffung eines Ambientes für den Kunden (z.B. in Hotels und Restaurants).

Ende Zitat

—wird fortgesetzt—